Was ist uns heilig?

Das MISEREOR-Hungertuch 2024

Zur Fastenzeit verhüllt das Hungertuch, auch Fastentuch genannt, in katholischen Kirchen die bildliche Darstellung von Jesus am Kreuz. Der Ursprung des Fastentuches geht auf den jüdi­schen Tempelvorhang zurück. Der Vorhang war ein zentraler Ausstattungsgegenstand des Jerusalemer Tempels, in dem es zwei Vorhänge gab. Der äußere Vorhang zum Vorhof diente der Abgrenzung von Äußerem und Innerem, der innere der Abgrenzung zwischen dem Tem­pelraum mit Leuchtern, dem Schaubrottisch, dem Räucheraltar und dem Allerheiligsten mit der Bundeslade. Hinweise auf die kirchliche Tradition der Hungertücher gibt es schon vor dem Jahr 1000 n. Chr..

1976 hat das bischöfliche Hilfswerk Misereor die Hungertuchtradition wieder aufgenommen. Alle zwei Jahre wird von engagierten Künstlerinnen und Künstlern aus Afrika, Lateinamerika und Asien ein neues Bild gestaltet.

Das Hungertuch 2023 hat der Künstler Emeka Udemba geschaffen. Emeka Udemba wurde 1968 in Enugu, Nigeria, geboren, studierte Kunst an der Universität von Lagos in Nigeria und bekam Stipendien in Deutschland, Frankreich und Südafrika. Heute lebt und arbeitet er in Freiburg. Mit seiner Kunst will er einen tieferen Einblick in die Art und Weise gewinnen, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir Identität und Kultur formulieren oder verbergen und wie diese Elemente unser kollektives Bewusstsein beeinflussen.

Klima, Kriege, Pandemien: Die komplexen Multikrisen unserer Tage führen uns vor Augen, wo die Schwachstellen unserer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen liegen. Auch wenn Krisen immer verzahnter werden und sich gegenseitig verstärken, ist und bleibt die Klimaveränderung die fundamentale Frage unseres Überlebens.

Dieses Szenario zielt mitten in das Hungertuch von Emeka Udemba. Sein farbenstarkes Bild ist als Collage aus vielen Schichten ausgerissener Zeitungsschnipsel, Kleber und Acryl aufgebaut: Nachrichten, Infos, Fakten, Fakes - Schicht um Schicht reißt und klebt der Künstler diese Fragmente und komponiert aus ihnen etwas Neues.

In einen freien rötlichen Raum ohne Horizont hineingesetzt, ragen zwei Unterarm- und Hand-Paare offen in die Fläche hinein: Form und Farbe nach gehören sie zu einem dunkelhäutigen Mann und einer weißen Frau, Ihre Hände berühren gemeinsam sachte die Erdkugel, die sie gemeinsam halten, ihr aber auch Spielraum lassen. Die Kugel bleibt in der Schwebe von Halten und Loslassen, Schutz und Preisgabe. Rollt die Kugel im nächsten Moment nach links unten in den roten aufgeheizten Raum hinein? Wird sie kippen wie unser Klima? Die Erdkugel, gute Schöpfung und Heimatplanet oder Spielball verschiedener Interessen?

„Vom Anfang“ lesen wir im Zentrum des Hungertuchs. Lassen wir uns zurück zu diesem Anfang führen: Von Schöpfung zu sprechen ist mehr, als nur Natur zu meinen. Es hat mit einem Plan der Liebe Gottes zu tun, in dem jedes Geschöpf einen Wert besitzt und nicht verfügbar ist.

Was ist uns noch heilig?
Was ist unverfügbar?
Was tasten wir nicht an?
Was ist uns das Leben wert?

Diese Fragen laden ein, das Bild miteinander zu entdecken und so Teil einer neuen, weltumspannenden Schöpfungs-Erzählung zu werden.